„Das war einfach zu viel für mich!“
Das Corona Virus: Meine Herausforderungen als hochsensibler Mensch während der Pandemie

Zu Beginn der Pandemie war ich noch relativ gelassen. Leicht beunruhigt, aber nicht allzu besorgt. Dann traten die ersten Fälle in Deutschland auf und die Zahl der Infizierten nahm zu.
Ich durfte von da an zu Hause arbeiten. Das habe ich zunächst noch als sehr positiv empfunden, zumal mein Job grundsätzlich eigentlich immer im Home Office erledigt werden könnte, es mir im Büro und in der Firma an sich oft viel zu laut ist und die vielen Menschen mich anstrengen. Außerdem spreche ich auf der Arbeit nicht über meine Hochsensibilität. Zu groß ist meine Angst vor Unverständnis und dass ich als nicht belastbar und zu empfindlich abgestempelte werde. Ein Filter, der Reize, Informationen und Eindrücke als unwichtig verbucht und wegschiebt, fehlt bei Hochsensiblen und führt zu einer schnellen Ermüdung und Erschöpfung. Der Wunsch nach Alleinsein ist die Folge, um wieder Kraft zu tanken. Viele Betroffene verstecken ihre Hypersensibilität so als wäre es eine Krankheit und sie versuchen, alleine damit klarzukommen und sich weitestgehend anzupassen.
Kein anderes Gesprächsthema
Als die offizielle Kontaktsperre ausgesprochen wurde und alles nach und nach dicht machte, verfolgte ich die Situation in den Medien sehr intensiv und wurde zunehmend innerlich unruhiger. Klar wollte ich mich nicht selber anstecken, aber noch mehr hat mich belastet, täglich über die Gefahr für Risikopatienten und die Anzahl der Toten zu lesen. Ich traf mich zweimal in der Woche mit einem Freund oder Freundin zum Spaziergang. Während des Treffens gab es kein anderes Gesprächsthema mehr als das Virus und seine Auswirkungen. Ich konnte an nichts anderes mehr denken. Abstand halten, Hände waschen, Desinfizieren, die neusten Berichte auf dem Handy lesen, größere Mengen als sonst einkaufen und sich über die Rücksichtslosigkeit und das Unverständnis vieler Menschen zu ärgern, bestimmten einen Großteil meines Denkens und Handelns. Corona war allgegenwärtig. Sich zu Hause auf die Arbeit zu konzentrieren, fiel mir immer schwerer.
Zunehmende Geräuschempfindlichkeit
Meine Wohnung ist sehr hellhörig und jeden Tag fühlte ich mich gestört; durch das Staubsaugen der Putzfrau in der Wohnung über mir, durch das Rasenmähen draußen im Garten, durch das laute Radio und permanente Husten ihres Nachbars. Die Geräuschempfindlichkeit ist für hochsensible Menschen sehr belastend, da der Fokus oft nur noch auf den Geräuschen liegt, die als enorm störend empfunden werden und Wut bis hin zu Verzweiflung auslösen können. Dadurch dass ich und auch meine Nachbarn so viel zu Hause waren, nahm ich die Geräusche als noch belastender wahr, meine Konzentration nahm ab und ich sehnte mich danach, endlich wieder rausgehen zu können oder mich durch Badminton und den Kontakt zu den Mitspielern abzulenken und durch die körperliche Betätigung abzureagieren.

An die Grenzen der emotionalen Belastung
Eines Abends schaute ich mir eine Reportage an, die über die Situation auf der Isolierstation der Essener Universitätsklinik berichtete. Dies führte bei mir zu einem emotionalen Einbruch und Weinkrämpfen. „Man sah, wie ein Mann seine Frau im Rollstuhl in die Notaufnahme brachte und sie dann mitgenommen wurde. Ich stellte mir vor wie sie, gemeinsam mit vielen anderen Erkrankten auch, von da an ihren geliebten Mann und Familie nie mehr wiedersehen würde, wie sie an der Beatmungsmaschine angeschlossen ist und einsam sterben muss. Das war einfach zu viel für mich“. Ein ganz wichtiger Aspekt für Hochsensible ist, dass sie ihre Grenzen wahrnehmen und sich selber schützen, damit Gefühle und Eindrücke nicht zu belastend werden. Von da an beschloss ich, solche Reportagen nicht mehr zu schauen und mich nur noch alle zwei Tage möglichst sachlich über die neusten Entwicklungen von Covid-19 und die Eindämmungsmaßnahmen zu informieren.
Anspannung durch die Ungewissheit
Zusätzlich half es mir, mich auf die positiven Dinge in meinem Leben zu fokussieren und beim gemeinsamen Spaziergang auch über andere Themen zu sprechen. Doch nun sorgte etwas anderes für Unruhe bei mir: die Ungewissheit. Haben die Eindämmungsmaßnahmen Erfolg? Wie lange geht es noch so weiter? Hochsensible Menschen denken oft mehr an die Auswirkungen für andere Menschen und nehmen ihre eigenen Bedürfnisse nicht genug wahr. Ich machte mir sehr viele Gedanken über die Menschen, die ihren Job verloren haben, die vereinsamten und um die Auswirkungen auf Wirtschaft, Gesellschaft, das Leben an sich und auf die ganze Welt. Dabei achtete ich nicht genug auf mich selber, nahm zunehmende Anzeichen der inneren Anspannung wie auf die Zähne beißen, unruhiger Schlaf und muskuläre Verspannungen nicht richtig wahr. Da durch die Hochsensibilität bei mir ohnehin körperliche Anspannungszustände da sind, habe ich den Bezug zur aktuellen Lage erst gar nicht sehen wollen.
Selbstfürsorge als Rettungsanker
Schnell wurde mir dann klar, dass ich mehr Selbstfürsorge betreiben muss und das Beste aus der Situation machen sollte. „Wohin man seine Aufmerksamkeit lenkt, welche Reize man zulässt und welche man ausblendet, lässt sich außerdem trainieren“, berichtet Trappmann-Korr. Das soll nicht heißen, dass das Negative und die Menschen, die von Corona sehr betroffen sind, vergessen werden. Doch Selbstschutz ist für hochsensible Menschen lebenswichtig und gerade in solchen Extremsituationen unbedingt nötig. Und das nicht nur für Hochsensible, sondern für alle Menschen. Falls es zu Hause mal wieder zu laut wird, machte ich einen Spazierganz, saugte selber die Wohnung (die Geräusche dabei empfinde ich selber als nicht so störend als wenn jemand anders sie erzeugt), machte ein Sport-Workout vor dem Fernseher oder hörte Musik. Der Vorteil am Home Office ist ja schließlich, dass man sich die Zeit frei einteilen kann und nicht acht Stunden am Stück durcharbeiten muss.
Positiv denken!
Ich nahem mir Zeit, die Natur und vielen Wanderwege in meiner Umgebung zu erkunden, schrieb täglich Tagebuch und schenkte den positiven Veränderungen des Corona-Virus viel Aufmerksamkeit. Ich hatte so viel Kontakt zu Menschen wie noch nie zuvor und Freude daran, meine Wohnung schöner zu gestalten. Es wär auch berührend, dass der Großteil der Menschen Rücksicht nimmt, den Abstand einhält und sich um andere kümmert. Die Ruhe auf den Straßen ist herrlich, die Natur erholt sich und es kann für viele Menschen und die Gesellschaft auch eine Chance sein. Weniger Materialismus, mehr Besinnung auf Menschlichkeit, Werte, Zusammenhalt sowie flexible Arbeitsmodelle. Und das mit der Rücksichtnahme auf die Grenzen anderer fände ich auch auf Dauer gar nicht schlecht.