Hochbegabung der Sinne

Geräuschempfindlichkeit

Es heißt immer so schön, dass hochsensible Menschen eine Hochbegabung der Sinne haben. Der Mensch hat fünf Sinne; Sehen, Hören, Riechen, Schmecken und Tasten. Unsere Sinnesorgane empfangen Reize, wandeln sie in Nervenimpulse um und leiten sie an das Gehirn weiter. Empfindsame Menschen haben eine sehr ausgeprägte Sinneswahrnehmung und äußere Reize werden daher viel stärker wahrgenommen. Meistens ist mindestens ein Sinnesorgan überdurchschnittlich ausgeprägt. Für Außenstehende ist es wahrscheinlich schwer vorstellbar, dass dass wir z.B. ein Geräusch wie die Sirene eines Krankenwagens dreimal so laut hören wie „andere“. Hinzukommt, dass Geräusche nur schwer auszublenden sind und wir gleichzeitig auftretende Geräusche nicht filtern können. Das führt schnell zu einer Reizüberflutung und damit zu Konzentrationsproblemen, Anspannung und starker Unruhe. Laute oder unangenehme Geräusche können sogar gefühlt körperlich weh tun und gehen durch Mark und Bein. Da ist es nicht verwunderlich, wenn man schnell aus dieser Situation raus will.

Gehirn von HSP filtert nicht

Kathrin Borghoff hat in ihrem Buch „Hochsensibel Mama sein“ einen schönen Vergleich gezogen, indem sie beschreibt, wie sich vor der Einfahrt zum Gehirn bei nicht Hochsensiblen ein Parkplatz befindet, der mit einer Schranke gesichert ist. Dort sitzt ein strenger Wächter, der kontrolliert und vorab filtert, wer die Schranke passieren darf und wer nicht. Bei Hochsensiblen gibt es diese Schranke nicht, der strenge Wächter ist ein gedankenverlorenerer Philosophiestudent, der aus dem Fenster sieht und Gedichte schreibt. „Und weil er sich eben auf alles konzentriert, nur nicht auf die Schranke, steht diese den ganzen Tag offen, und alle möglichen Gedanken und Reize können einfach so auf das hochsensible Gehirn zufahren“. Genau das macht den Tag für hochsensible Menschen so stressig. Diesen Vergleich finde ich wirklich sehr passend.

„Sie können Geräusche nicht lauter hören als andere!“

Dieser Satz meines HNO-Arztes vor einigen Jahren hatte gesessen und macht mich im Nachhinein wütend. Eigentlich war dieser Arzt immer auf dem neusten Stand und hat Symptome ganzheitlich betrachtet, aber diese Aussage von ihm ist schlichtweg traurig. Wichtig ist hierbei die Wahrnehmung der Person, die „besser“ hört als andere. Ich habe mich damals mal wieder falsch verstanden gefühlt und ging mit einer weiteren Aussage des Arztes, die da lautete: „Früher haben die Menschen neben Fabriken gewohnt und konnten auch schlafen“ niedergeschlagen nach Hause. Bäm. Damals wusste ich allerdings noch nicht, dass ich hochsensibel bin. Der Arzt leider auch nicht.

Nachts keine Ruhe finden

Ich trage seit Ewigkeiten jede Nacht Ohrstöpsel. Ich brauche es ganz still, um schlafen zu können. Das ist aber schon so seit ich denken kann. Leisere, natürliche Geräusche wie Regen machen mir nicht so viel aus und sind teilweise sogar angenehm. Es führte zu so vielen schlaflosen Nächten wenn ich diese Ruhe nicht hatte. Klassenfahrten waren der Horror was die Nächte anging. Ich weiß noch wie ich immer über meine Zimmergenossinen, die nachts friedlich schliefen, dachte: Diese Unbeschwertheit möchte ich auch mal haben! Wenn ich bei einer Freundin oder meinem Freund übernachtete, habe ich auch nie gut geschlafen. Ab einer gewissen Lautstärke wache ich aber trotzdem auf, auch wenn ich im tiefsten Schlaf bin. Durch das Tragen des Hörschutzes sind meine Ohren natürlich so sensibilisiert und ich kann erstrecht nur bei absoluter Ruhe schlafen.

Stress im Alltag

Aber da sind ja auch noch die Geräusche im Alltag. Wenn ich einen stressigen Tag hatte, kann ich es abends schon nicht haben, wenn laute Musik oder die Dunstabzugshaube läuft. Ich kann Essens- und Atemgeräusche auf den Tod nicht ausstehen und ekele mich dann richtig. Bei meinem Sohn stört es mich aber nicht. Der Fachbegriff für eine Überempfindlichkeit (oder eher Hass und Ekel) gegenüber Alltagsgeräuschen heißt übrigens Misophonie.

Unverständnis auf der Arbeit

Problematisch ist es auch im Berufsalltag. Ich kann mich nicht richtig konzentrieren, wenn es nicht ruhig in meinem Büro ist. Ein Mangel an Konzentration entsteht durch die Unfähigkeit, Reize zu filtern und eine daraus resultierende Überreizung der Nerven. Dadurch ist man schneller abgelenkt, kann sich nicht mehr konzentrieren und ein Erschöpfungszustand tritt ein. Wichtig sind kleine Pausen, um wieder Kraft zu tanken und sich zu fokussieren. Einmal war ich einem Büro mit vier Leuten, die alle gern „gequatscht“ haben. Wie habe ich da überhaupt was zustande gebracht, frage ich mich heute. Ich hatte schon Kollegen, die ganz laut in die Tastatur „gehauen“ haben, die sich andauernd räusperten, leise einen Text mitsprachen, zwischendurch pfiffen und Liedchen sangen. Klar habe ich diese Personen auch darauf angesprochen, aber sie konnten oder wollten es nicht abstellen.

Man kann sich an Geräuschpegel gewöhnen

Es gibt allerdings Hoffnung. Ich habe das Gefühl, dass ich bezüglich Geräuschen ein wenig unempfindlicher geworden bin, seitdem ich Mama bin. Vielleicht hat sich meine Toleranzgrenze durch das Weinen und Schreien meines Sohnes (was zum Glück nicht übermäßig vorkommt) nach oben verschoben. Der Arzt von damals sagte, dass ich mich wann immer es möglich ist, lauten Geräuschen aussetzen und z.B. die Musik richtig aufdrehen soll. Damit sich meine Ohren daran gewöhnen. Da ist vielleicht was dran. Immer nur die Stille suchen, ist auch nicht richtig. Dennoch ist es auch hier wieder ratsam, auf sich zu hören und Ruhe zu finden wenn es nicht mehr geht. Oder im Alltag auch mal Ohrstöpsel tragen, Musik über Kopfhörer hören, sich fest auf eine Sache fokussieren. Geräusche lassen sich leider nun mal nur schwer vermeiden.

Schreckhaftigkeit

Hochsensitive Menschen sind sehr schreckhaft. Dies macht auch Sinn, denn die Nerven sind gereizter als bei anderen Menschen und reagieren schneller und heftiger auf Stimuli aus der Umgebung. Ich bin oft immer noch schockiert, wie schreckhaft ich bin und das macht sich auch immer mindestens durch eine verbale Äußerung, meist auch noch durch eine Bewegung, bemerkbar. Kommt unvorhergesehen ein ganz lautes Geräusch, zucke ich zusammen und merke es im ganzen Körper. Gerade bei meinem Sohn bin ich sehr schreckhaft. Wenn es so aussieht als würde er hinfallen, kommt von mir schon ein Schreckenslaut hervor und ich kann das nicht kontrollieren. Es passiert einfach völlig unbewusst. Regelmäßig erschrecke ich mich, wenn mein Mann abends geräuschlos in die Küche kommt. „Hallo, ich wohne auch hier!“ sagt er dann.

Berührungen

Der Berührungssinn ist bei HSP besonders ausgeprägt. Auf der einen Seite kann es vorkommen, dass (vor allem unangekündigte) Berührungen unangenehm sind, auf der anderen Seite werden diese als sehr intensiv empfunden. Bei mir kommt es auch hier wieder darauf an, wie mein körperliches Wohlempfinden sowie Stresslevel momentan aussieht. Manche Berührungen verursachen bei mir auch Schmerzen, dies hat zusätzlich mit meiner Fibromyalgie zu tun. Mehr dazu schreibe ich beim Unterpunkt Schmerzen und psychosomatische Beschwerden.

Geruchsempfindlichkeit

Spürnase – das wäre doch ein Beruf für mich!

Diesen Unterpunkt beschreibe ich nur mit einem kleinen Erfahrungsbericht:

Es war das Jahr 2013. Ich nahm zum ersten Mal am Kurs „Progressive Muskelentspannung“ teil. Schon als ich den Kursraum betrat, stieß mir dieser blumige Geruch in die Nase. Ich empfand ihn als sehr unangenehm. Nach ein paar Minuten bekam ich Kopfschmerzen davon und an Entspannung war nicht zu denken. In der Mitte des Raumes war eine Art flammenlose Kerze hingestellt, ich hielt diese zunächst für eine Duftlampe. Als ich nach dem Kurs meine Freundin drauf ansprach, erwiderte sie: „Ich habe gar nichts gerochen!“. Ich war total bedröppelt. Solche Situationen habe ich danach noch öfters erlebt. Ich rieche Dinge, die andere gar nicht erst wahrnehmen. Es stellte sich dann raus, dass ich das Parfüm der Kursleiterin gerochen habe und auch nicht mehr am Kurs teilnehmen konnte.

Es gibt Gewürze und bestimmte Duftnoten in Parfüms oder Waschmittel/Weichspüler, nach dem jemand anderes riecht, die bei mir sofort Kopfschmerzen und totales Unbehagen auslösen, sodass ich mich nur noch darauf konzentrieren kann und am liebsten weggehen möchte. Da ich auch essentechnisch vieles nicht mag, meist schon aufgrund eines Gewürzes oder weil ich nichts essen kann, das noch nach Tier aussieht, bekomme ich von meinem Umfeld schon mal den einen oder anderen Kommentar. So what.