Starke Emotionen

Hochsensible Menschen haben sehr starke Emotionen und diese werden auch schnell aktiviert. Schon immer war ich recht „nah am Wasser gebaut“, habe aber oft versucht, dies zu unterdrücken. Meine Stimmung kann sehr schnell von freudig auf traurig und betrübt wechseln. Schöne Dinge in der Natur berühren mich zutiefst, genauso wie Musik und Tanz. Ganz besonders nehmen mich Filme und Lieder mit und dann fließen bei mir recht schnell die Tränen. Es fühlt sich dann fast so an als würde ich selbst diese Gefühle durchleben oder diese Person im Film sein. Ich empfinde sehr viel Mitgefühl, daher vermeide ich es auch, Nachrichten zu schauen, da mich das Elend dieser Welt viel zu sehr mitnimmt und ich diese beklemmenden Gefühle nicht ertragen kann. Mit Krieg kann ich mich gar nicht befassen, denn es würde mich zu sehr fertig machen. Die Bilder des Krieges stürzen mich in Weinkrämpfe und das versuche ich so gut es geht zu vermeiden.

Nah am Wasser gebaut

Genauso bringen mich Ereignisse geprägt von Menschlichkeit, Solidarität, Glück und Erfolg zum Weinen. Es gibt ja auch noch Gutes auf der Welt. Wenn das Weinen dann nachgelassen hat und ich mich beruhigt habe, kommt sofort bei mir ein Erschöpfungszustand. Diesen merke ich körperlich sehr stark und ich habe das Bedürfnis, mich hinzulegen und Ruhe zu haben.

Power-Emotion Wut

Wut ist eine Emotion, die genau wie Freude bei mir sehr stark ist und mich überrollt. Ich kann Ärger und Wut eher zeigen als Freude und Begeisterung. Die Gründe für meine Wut sind vielfältig und gehen auch auf meine Kindheit zurück. Es würde hier den Rahmen sprengen, das genau zu erklären. Bezüglich der Hochsensibilität kann ich nur für mich sagen, dass des Öfteren ein Unverständnis anderer bzw. Rücksichtslosigkeit mich wütend macht. Wenn jemand weiß, dass ich hochsensibel bin und dann ein bestimmtes Verhalten an den Tag legt, das mich stresst, werde ich wütend. Ich habe dann das Gefühl, ich muss mich wieder mal rechtfertigen und um Verständnis bitten. Das ist so zermürbend. Wenn ich gar nichts dazu sage oder bis über meine Grenzen gehe, wird diese Wut noch verstärkt. Dann ärgere ich mich über mich selbst, dass ich nicht doch etwas gesagt oder die Person erinnert habe, dass ich gerade gestresst bin. Oft ist es dann schon zu spät – mein Stresslevel ist enorm hoch und mein Energielevel extrem niedrig. Das läuft nämlich parallel.  

Extra-oder introvertiert?

In den meisten Gesprächen und Gesprächskreisen bleiben Emotionen außen vor. Es geht um Oberflächliches und das ist überhaupt nichts für mich und die meisten Hochsensiblen. Ich kann zwar „Small Talk“, aber ich mache es nicht gerne. Daher bin ich auch kein Mensch, der besonders viel redet oder immer weit ausholt. Ich höre lieber zu als zu reden und meistens überlege ich mir auch vorher gut, was ich sagen will. Mir fällt immer wieder auf, dass mit bestimmten Menschen gar keine richtige Unterhaltung stattfindet. Man wird etwas gefragt oder spricht etwas an und schwuppdiwupp geht es nur um den anderen und seine Erfahrungen oder Meinung dazu, man selber ist gar nicht im Fokus. Ich weiß, viele Menschen sind nicht in der Lage dazu, sich selber in den Hintergrund zu stellen, nur ist solch eine Einseitigkeit höchst unbefriedigend und so kann niemals eine Verbindung oder Freundschaft entstehen.

Unter den Hochsensiblen gibt es durchaus Extravertierte. Gefunden habe ich eine sehr schöne Beschreibung von extra- und introvertiert:

Wenn Du nicht weißt, was ein Extravertierter denkt, hast Du nicht zugehört!

Wenn Du nicht weißt, was ein Introvertierter denkt, hast Du nicht gefragt!

(Jack Falt, Psychologe)

Extravertierte Menschen tanken Kraft im Kontakt mit anderen, Introvertierte beim Alleinsein. In dem Buch „So bin ich eben!“ von der von mir sehr geschätzten Autorin Stefanie Stahl heißt es, dass introvertiert sein nicht heißt, schüchtern oder gehemmt zu sein. Introvertierte haben nicht so einen großen Mitteilungsdrang, sind aber aufgrund ihrer Angstbereitschaft anfälliger für soziale Ängste und laufen Gefahr, sich in ihrer inneren Welt zu verlieren. Ihre Zurückgezogenheit kann sogar mitunter arrogant wirken. Das kann ich auch bestätigen, denn ich wurde in der Schulzeit das eine oder anderen Mal von Menschen als arrogant angesehen und darunter habe ich sehr gelitten. Wahrscheinlich ist das heute auch noch der Fall, nur dass man es heute nicht mehr so spürt und mitgeteilt bekommt wie im Jugendalter.

Die liebe Liebe

In Liebesbeziehungen war ich auch immer eher die Emotionale und das war für manche Männer ‚too much‘. Damit konnten sie nicht umgehen. Deshalb fiel es mir mit der Zeit immer schwerer, meine Gefühle zu zeigen und ich habe erst abgewartet, ob und was vom anderen kommt. Ich weiß, dass es daher auch heute noch schwer ist, mich richtig kennenzulernen. Ein Großteil meiner Gedanken und Emotionen ist in mir verborgen und die anderen bekommen davon nichts mit. Selbst im engeren Familienkreis ist das so. Ich möchte meiner Familie von dieser Website erzählen und der ein oder andere wird hier eventuell (besser keine Erwartungen haben) auch reinschauen und eventuell sehr überrascht sein. Vor allem aber hoffe ich, dass man mich dann besser versteht und nachvollziehen kann, wieso ich manchmal so reagiere.

Wer versteht mich wirklich?

Mein Mann kennt meine emotionale Seite und hat sich auch unter anderem deswegen in mich verliebt, hat genau so eine Frau gesucht. Bei ihm kann ich aber auch hart sein und zumachen, um mich zu schützen oder weil ich mich unverstanden fühle. Es schwankt dann bei mir zwischen den Gedanken „Er muss doch wissen was los ist“ und „Das kann er nicht verstehen und nicht wissen, wie es sich für mich anfühlt. Das kann niemand, der nicht auch hochsensibel ist“.  

Wie man die starken Emotionen nutzen kann

Intensiv zu fühlen, kann sehr schön und überwältigend sein. Ich merke es oft beim Zusammensein mit meinem Sohn (4 Jahre). Die kleinsten Dinge wie sein herzliches Lachen lösen bei mir so ein tiefes Gefühl von Freude und Rührung aus, dass ich oft feuchte Augen bekomme. Er ist mein allergrößtes Glück und ich bin unendlich dankbar, dass ich seine Mama sein darf und diese tiefe Liebe empfinden kann. Wenn man es kann, seine Gefühle auch authentisch zu zeigen, sind innige Freund-und Bekanntschaften möglich, die ein Leben lang anhalten.

Die Berufswelt braucht HSP

Auch im Job sind emotionale, empathische Menschen oft beliebte Kollegen* und werden dafür geschätzt, die sachliche Ebene als nicht so wichtig anzusehen und eine andere Perspektive zu beleuchten. Sie lesen zwischen den Zeilen und haben ein Auge für Details. Mir persönlich fällt es sehr schwer, sachlich an Probleme ranzugehen und habe es mir immer gewünscht, dass meine emotionale Empfindung ernster genommen wird.

Feinfühlige Menschen brauchen Emotionalität

In Partnerschaften sind es oft Gegensätze, die sich anziehen. Ein eher rationaler Mensch profitiert von einem emotionalen Partner und umgekehrt. Im Idealfall werden so beide Seiten berücksichtigt und man ergänzt sich. Mein Mann hat auch eine emotionale Seite und ich könnte niemals einen Partner haben, bei dem das nicht der Fall ist. Er kann aber auch sachlich sein und beruhigt mich mit seiner positiven und rationalen Art. Es kommt aber vor, dass ich deshalb meiner inneren Stimme nicht folge und dann nicht glücklich bin mit einer Entscheidung, die ich aus Vernunft oder Pragmatismus getroffen habe.

Lass die Emotionen raus!

Das Entscheidende ist meiner Meinung nach, zu seinen Gefühlen zu stehen und sie nicht unterdrücken zu wollen. Auch negative Gefühle haben ihre Berechtigung und wollen raus. Die eigenen Gefühle sind wichtig und ein Ausdruck seiner eigenen Empfindungen und Menschlichkeit. Es ist schon schwer genug, wenn man permanent mit der ganzen Last des Lebens auf dem Rücken herumläuft und sich um alles und jeden Gedanken und Sorgen macht! Emotionen können uns Hochsensible überrollen, doch manchmal muss man auch mal rollen lassen, damit der Weg danach wieder frei ist.

*alle Geschlechter sind gemeint